Der Bundesgerichtshof regelt die Pflichten eines Hausarztes

Wie lautet das BGH-Urteil?

Der Arzt hat sicherzustellen, dass der Patient von Arztbriefen mit bedrohlichen Befunden – und gegebenenfalls von der angeratenen Behandlung – Kenntnis erhält, auch wenn diese nach einem etwaigen Ende des Behandlungsvertrages bei ihm eingehen. Der Arzt, der als einziger eine solche Information bekommt, muss den Informationsfluss aufrechterhalten, wenn sich aus der Information selbst nicht eindeutig ergibt, dass der Patient oder der diesen weiterbehandelnden Arzt sie ebenfalls erhalten hat.

Was war geschehen?

Der Kläger (Patient) besuchte seinen Hausarzt mit Schmerzen im linken Bein und Fuß. Der Hausarzt stellte dem Kläger eine Überweisung zu einem Orthopäden aus. Bei einer Magnetresonanztomographie in einem Krankenhaus zeigte sich eine circa 1cm große Geschwulst in der linken Kniekehle. Dieser radiologische Befund wurde von der neurologischen Abteilung des Krankenhauses dem Orthopäden geschickt. Die orthopädische Praxis schickte daraufhin den Kläger (Patienten) zur stationären Behandlung in ein Klinikum, dass die Geschwulst mikrochirurgisch resektierte.
(Als Resektion (lat. resecare – abschneiden-) bezeichnet der Mediziner die Entfernung von Körpergewebe, Organen oder Tumoren in einer Operation)

Der erste Arztbrief

Den ersten Arztbrief erhielten der Hausarzt, der Orthopäde und das zunächst behandelnde Krankenhaus.

Inhalt des Briefes:

Ein Ergebnis der histologischen Untersuchung liegt leider noch nicht vor. Der Patient wird darüber gesondert informiert. Bei Auffälligkeiten im Bereich der OP-Wunde bitten wir um eine Wiedervorstellung des Patienten zur postoperativen Verlaufskontrolle in ca. 6 Wochen in unserer NC-Ambulanz.

Der zweite Arztbrief

Der zweite Arztbrief folgenden Inhaltes erhielt nur die Hausarztpraxis des Klägers (Patienten):

Entgegen der vermuteten Diagnose eines Neurinoms stellt sich bei der Durchsicht der Präparate im Referenzzentrum ein maligner (bösartiger) Nervenscheidentumor dar. Wir bitten, den Patienten in einem onkologischen Spezialzentrum vorzustellen.

Nach ungefähr 15 Monaten

Knapp eineinhalb Jahre später besuchte der Kläger wiederum seine Hausärztin wegen einer Handverletzung. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte sich bereits ein weiterer Tumor gebildet, (Rezidiv= wiederkehrend) der beim Kläger (Patienten) eine dauerhafte Beeinträchtigung zur Folge hatte.

Daraufhin verklagte der Patient seine Hausärztin auf:

  • Behandlungsfehler
  • Schmerzensgeld
  • Haushaltsführungsschaden
  • Erwerbsschaden
  • Mehrbedarf etc..

Das Landgericht gab der Klage in erster Instanz noch teilweise statt aber das Oberlandesgericht wies die Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld ab mit der Begründung, dass kein grober Behandlungsfehler vorliege.

Zur Begründung heißt es:

Es sei im alltäglichen Praxisablauf nachvollziehbar, dass die Weiterleitung dieses Arztbriefes unterlassen wurde. Es habe sich insbesondere nicht aufgedrängt, dass die Beklagte als maßgebliche Behandlerin und einzige Adressatin fehlerhaft vom Krankenhaus ausgewählt worden sei. Bei einem lediglich einfachen Behandlungsfehler könne deshalb die Kausalität des Fehlers für den weiteren Verlauf der Erkrankung des Klägers nicht angenommen werden.

Die Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof ergab ein anderes Urteil

Der BGH hat diese Entscheidung aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Denn die dortigen Bewertungen zur Frage des Behandlungsfehlers und Einordnung eines solchen Fehlers als besonders grob seien durch die maßgeblichen Tatsachen nicht gedeckt. Wird ein Patient über einen bedrohlichen Befund, der Anlass zu umgehenden umfassenden ärztlichen Maßnahmen gibt, nicht informiert und ihm die erforderliche ärztliche Beratung deshalb versagt, liegt ein schwerer ärztlicher Behandlungsfehler vor.

Gerade bei Hausärzten, die Patienten/innen langjährig betreuen, bestehe eine besondere Schutz- und Fürsorgepflicht.

Jeder Arzt, insbesondere aber langjährig betreuende Hausärzte, hätte sicherzustellen, dass Patienten von Arztbriefen mit bedrohlichen Befunden Kenntnis erhalten. Diese Pflicht ende nicht mit der Überweisung zur weiteren Behandlung an Fachärzte/innen. Es sei geboten, Gefährdungen von Patientinnen und Patienten zu verhindern; Hausärzte seien von daher schon immer verpflichtet, erkannte oder erkennbare gewichtige Bedenken gegen Diagnosen und Therapien anderer Ärzte mit den Patienten/innen zu erörtern und zu deren Schutz erforderliche Maßnahmen zu ergreifen. Die Beklagte konnte aus dem Arztbrief entnehmen, dass sie, auch irrtümlich, als behandelnde Ärztin von Seiten des Krankenhauses angesehen wurde.

Sie durfte daher nicht sehenden Auges den Kläger gefährden, indem sie die wichtigen Informationen nicht an diesen weiterleitete. Es komme daher entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts auf einen einige Monate zurückliegenden letzten Behandlungstag nicht an, denn bereits aus dem Arztbrief als solchem sei eindeutig erkennbar, dass die Beklagte als (angenommene) Behandlerin allein über die Befundung informiert worden war. Die Anforderungen an die Informationsweitergabe seien von daher gerade bei langjähriger ärztlicher Betreuung, wie es bei Hausärzten üblich ist, hoch. Ein Hinweis auf alltägliche Abläufe, bei denen so etwas „durchrutschen“ könne, genüge diesen Anforderungen in rechtlicher Hinsicht nicht.

Fazit:

Es wird dem Patienten nicht auferlegt, sich selbst nach seinen Untersuchungsergebnissen zu erkundigen. Wenn der Hausarzt oder die Hausärztin die Befunde in ihrem eigenen Briefkasten findet, ist sie oder er dazu verpflichtet, diese auch ihren Patienten zu schicken. Wie häufig kommt gerade dieser Satz in Arztpraxen nach einer Untersuchung wie z.B. bei einer Biopsie (Gewebeprobe) oder Blutabnahme vor: Wenn es was Ernstes ist, melden wir uns. Besser wäre es, sie würden sich immer melden, dann würde sich ein Fall wie dieser nicht wiederholen.

Falls Sie der Überzeugung sind, auch Opfer eines Behandlungsfehlers gewesen zu sein, spricht alles dafür, sich anwaltlich beraten zu lassen. Bei einer Erörterung der Sachlage eruieren wir gemeinsam, ob Erfolgsaussichten bestehen.