Was ist ein Arbeitsunfall und was nicht?
Manche sprechen nur von einem bespiellosen Vorgang, andere setzen die Einführung der gesetzlichen Unfallversicherung einem sozialrechtlichen Quantensprung gleich. Was war geschehen? In dem Buch von Vogel aus dem Jahr 1951 mit dem Titel Bismarcks¹ Arbeiterversicherung wird auf Seite 33 und folgende Bismarck selbst zitiert. Eine kleine handschriftliche Anmerkung Bismarcks zu einem Begleitbericht an das Reichsamt des Inneren aus dem Jahr 1880.
Er schrieb: Staat! Wo culpa² nicht nachweisbar!
Das war das Machtwort, dass alle bisherigen Vorstellungen zur Arbeitsunfallversicherung zu Nichte machte. Dadurch wurde die unumstößliche culpa Doktrin des Zivilrechts in der Arbeitswelt durch ein ganz neues Prinzip ersetzt.
Warum? Vor Einführung einer Arbeitsunfallversicherung musste ein Arbeiter, der Verletzungen auf der Arbeit erlitten hatte für den Erhalt einer Entschädigung einen schuldhaften Verstoß des Arbeitgebers nachweisen. Ab der Einführung der Arbeitsunfallversicherung aber nicht mehr Die Versorgung der Verletzung wird vom Staat bezahlt, heute von den jeweiligen Berufsgenossenschaften.
Zur Frage der Schuld
Beispiel Wegeunfall: Bei Eis und Schnee macht sich der Arbeitnehmer in Turnschuhen auf den Weg zur Arbeit und fällt. Es handelt sich hier um einen Berufsunfall auf dem Weg zur Arbeit, auch wenn der Arbeitnehmer besser in Schuhen mit profilierter Sohle das Haus sicherer hätte verlassen können.
Was ist ein Arbeitsunfall?
Der Begriff des Arbeitsunfalls ist nicht auf Unfälle am Arbeitsplatz beschränkt. Er ist viel weiter gefasst. Das liegt auch daran, dass sich der Kreis der Versicherten in der gesetzlichen Unfallversicherung im Laufe der Zeit immer wieder erweiterte. Heute sind nicht nur Arbeitnehmer, die ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen versichert, sondern auch andere Personengruppen wie zum Beispiel Schülerinnen und Schüler während des Schulbesuchs, Kinder in Kindertagesstätten und sogar Ersthelfer, die bei einem Verkehrsunfall zu Hilfe eilen. Im Übrigen auch viele ehrenamtlich Beschäftigten.
Wenn sich der Koch sich in der Küche mit heißem Wasser verbrüht, oder sich der Schüler beim Sportunterricht das Bein bricht- beides sind, versicherungsrechtlich gesehen, Arbeitsunfälle.
Allgemein kann festgestellt werden:
Der Umfang der gesetzlichen Unfallversicherung muss größer gefasst werden
Versichert sind auch Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit den ausgeübten Tätigkeiten stehen wie
- die Instandhaltung, Erneuerung, Verwahrung und Beförderung von Arbeitsgeräten
- die Teilnahme an Betriebssportveranstaltungen, Betriebsausflügen und Betriebsfeiern
- die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler an Klassenfahrten, die im Verantwortungsbereich der Schule liegen.
Kein Versicherungsschutz, wenn…
Wie an anderer Stelle schon festgestellt, wird bei einer Gerichtsverhandlung nicht darüber debattiert und Recht gesprochen, ob der Arbeitnehmer ein schuldhaftes Verhalten an den Tag legte, als er sich verletzte, sondern ausschließlich darüber, ob die Verletzung durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt wird.
Da das Unfallereignis ein zeitlich begrenztes und von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis sein muss, das zu einem Gesundheitsschaden führte, ist jeder Unfall für sich zu betrachten. Ein Kind, dass plötzlich in der KITA Nasenbluten hat und ein Arbeitnehmer, der am Schreibtisch einen Herzinfarkt erleidet, haben keinen Anspruch auf Entschädigung aus dem Topf der Berufsgenossenschaft.
Alle Arbeitsunfälle, die aufgrund von Alkoholgenuss oder Drogenkonsum entstehen, werden grundsätzlich nicht als Arbeitsunfälle anerkannt.
Die häufigsten Arbeitsunfälle des Jahres 2021 waren
- Stolpern, Rutschen, Stürzen
- Falsches Bedienen von Werkzeug und Maschinen
- Falsches Heben und Tragen
- Missachtung von Sicherheitsvorschriften
- Mangelnde Erfahrung
- Nachlässigkeit durch Routine
Beispiele Arbeitsunfall
Da die Sozialgerichte sehr stark einzelabhängig entscheiden, ob Versicherungsschutz besteht oder nicht, können auch nur Nuancen der Schilderung des Unfallhergangs andere Entscheidungen herbeiführen.
- Während einer Betriebsfeier stürzt auf dem Weg zur Toilette ein Mitarbeiter und bricht sich das Bein. Arbeitsunfall ja/nein?
- Im Toilettenraum seiner Arbeitsstelle rutscht der Mitarbeiter auf seifigem Boden aus und bricht sich das Bein. Arbeitsunfall ja/ nein?
Antwort zu
- Arbeitsunfall. Die gesetzliche Unfallversicherung muss zahlen
- Kein Arbeitsunfall
Solche Entscheidungen sorgen bei einem Nichtprofi in Sachen Recht schon für Verwirrung. Aber eine willkürliche Entscheidung des Sozialgerichtes war das nicht. Es existiert ein wichtiger rechtlicher Unterschied: Der Sturz auf der Toilettenanlage ist reine Privatsache, der Sturz auf dem Weg zur Toilette ist ein Wegeunfall. Und Wegeunfälle sind Arbeitsunfälle gemäß Paragraf 8, Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit und Versicherte Tätigkeiten sind auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.
Private Unfallversicherung und die gesetzliche Unfallversicherung
Im Gegensatz zur Rentenversicherung, für die zur Zeit der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer jeweils 9,3% bezahlen, wird der Beitrag zur gesetzlichen Unfallversicherung nur vom Arbeitgeber getragen. Bei Abschluss einer privaten Unfallversicherung zahlt nur der Vertragsnehmer. Der Großteil der jährlich rund 8 Millionen Unfälle entfallen auf Freizeitaktivitäten, Hausarbeit und den Sport. Wer gefährliche Freizeitaktivitäten mit hohem Sicherheitsrisiko und hoher Unfallgefahr exzessiv betreibt oder riskante Sportarten bevorzugt, bei denen man sich leicht verletzen kann, dem sei eine private Unfallversicherung zu empfehlen.
Ratschlag
Wer einen Arbeitsunfall erlitten hat und Versicherungsprobleme befürchtet, sollte sich umgehend mit einer Rechtsanwaltskanzlei seines Vertrauens in Verbindung setzen. Da auch Dauerstress und psychische Belastung am Arbeitsplatz zu den versicherten Arbeitsunfällen zählen können, um nur einige weitere Beispiele zu nennen, kann der Ratschlag eines Profis mehr als nur nützlich sein.
Unfälle können auch Spätfolgen nach sich ziehen oder sogar eine Vorverrentung auslösen. Dagegen sind Rehabilitationsmassnahmen nach einem Unfall oder die Lohnfortzahlung bei zeitweiliger Arbeitsunfähigkeit fast schon eine zu vernachlässigende Größe. Für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, besonders bei nicht eindeutigen Fällen, ist es für den Betroffenen der einfachste Weg, sich die Hilfe eines in dem Thema erfahrenden Rechtsanwaltes zu suchen. Wie häufig aus den Medien zu entnehmen, können sich Anerkennungsverfahren über mehrere Jahre hinziehen, in denen der Betroffene vor allem eines, gesund werden soll und nicht als Mitstreiter vor dem Sozialgericht auftreten muss.
Erläuterungen
1 Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen war von 1871 bis 1890 der erste Reichskanzler des Deutschen Reiches
2 culpa, lateinisch, übersetzt: Schuld